Comic Speedline Nr.58

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Comic Speedline #58
Rückseite

Die schrecklich nette Familie erobert nun auch den Comic-Markt - Im November startet der Dino-Verlag parallel zur täglichen Ausstrahlung der Trickfilm-Serie auf PRO 7 die monatliche »Simpsons«-Comic-Serie. Anlaß genug für eine kleine Geschichte der gelben Normalos und Ihres Erfinders Matt Groening.


Ay, Caramba! Was war das für ein Hallo, als 1991 die berühmteste Zeichentrickfamilie der Welt unsere Flimmerkisten eroberte! Debatten wurden geführt, ob man diese Serie wirklich im Vorabendprogramm ausstrahlen sollte; Elternverbände empfahlen in Fernsehzeitschriften, Kinder beim Betrachten des neuen amerikanischen Medienphänomens vor dem Fernseher besser nicht alleine zu lassen und nachher ausführlich mit ihnen darüber zu reden. Von Anfang an war klar: »Die Simpsons« sind keine gewöhnliche Trickfilmserie. Nachdem ihr schlagartiger Erfolg dann auch in Deutschland eine Flut von Merchandisingprodukten in die Regale schwemmte, die selbst die ein paar Jahre zuvor gelaufene Batmania in den Schatten stellte, wurde es erst einmal etwas still um die gelbgesichtigen Springfielder. Verbannt auf die unmöglichsten nächtlichen Sendeplätze und nur noch von den treuesten Fans hochgehalten, harrten sie ihrer Auferstehung - doch jetzt ist es endlich soweit: Parallel zu neuen Folgen auf Pro 7 erobert die schrecklich nette Familie nun auch als Comic unsere Kioske. Der Dino-Verlag veröffentlicht ab November jeden Monat ein Heft mit unwiderstehlichen »Simpsons«-Comics zum Preis von DM 3,90 - ganz nach dem Muster der bereits sehr erfolgreich laufenden anderen Titel dieses Verlages (»Batman Adventures«, »Supermau«). Werfen wir also einen Blick in die Welt der Simpsons und die ihres Schöpfers, Matt Groening…


Wir schreiben das Jahr 1966. Ein zwölfjähriger Junge namens Matt sitzt in einer Junior High School in der Erdkundestunde und langweilt sich zu Tode. Sein Lehrer hat heute eher Lust auf eine kleine Zigarettenpause auf dem Flur als auf aufreibenden Unterricht, und so führt er seiner Klasse einen steinalten Technicolor-Lehrfilm über Mexiko und die Herstellung von Tortillas vor. Was soll dieser Junge also machen? Er krickelt in seinem Heft herum. Das macht er öfter; eigentlich verbringt er mit dem Kritzeln in Heften und auf Tischen sowieso seine gesamten Unterrichtsstunden. Ein Kriegsschiff hier, ein Dinosaurier da, und jede Menge furchtbar schlechter Batman-Zeichnungen. Angesichts des totlangweiligen Films, der da vorne abgeht, zeichnet er Tortillas. Und weil er wie jeder amerikanische Junge in diesem Alter natürlich Monster-Fan ist, zeichnet er mutierte Vampir-Tortillas. Kringel, Kringel, noch ein Kringel. Doch als am Ende der Stunde das Licht angeht, ist aus seinen Tortilla-Kringeln etwas seltsames geworden. Eine komische Figur grinst ihn vom Papier entgegen: große Glubschaugen, eine kleine Stupsnase, kein Kinn und ziemlich blöd aus der Wäsche guckend. Sieht witzig aus und ist leicht zu zeichnen. Diese Figur sollte man vielleicht öfter zeichnen. Mal sehen, was so draus im späteren Leben noch wird…


Der Beruf des Comiczeichners wurde Matt Groening im wahrsten Sinne des Wortes in die Wiege gelegt; sein Vater arbeitete als Cartoonist für diverse Zeitungen und Zeitschriften, und so konnte der Kleine schon im Krabbelalter nach Herzenslust zwischen Tonnen von Comics und Bildbänden herumstöbern. Überdies zeichnete Daddy eine Menge Bilder für die Familie und ermutigte jedes seiner Kinder zum kreativen Arbeiten, brachte Buntstifte mit nach Hause und zeigte seinen Sprößlingen die grundlegenden Tricks und Kniffe. Durch seinen älteren Bruder lernte Matt »Donald Duck«, »MAD«, »Little Lulu« und einen Haufen Superheldencomics kennen und lieben.

Was Schule und Respekt vor Obrigkeiten betraf, legte er recht früh ganz bestimmte Wesenszüge an den Tag, die sich später mit erstaunlicher Ähnlichkeit im Charakter eines ganz bestimmten Springfielder Frechdachses wiederfinden würden: »Ich war ein Problemkind. Fast vom Beginn meiner Schullaufbahn an nervte ich leidenschaftlich meine Lehrer und Schulbediensteten. Ich fand immer irgendwo eine Regel oder Vorschrift, die ich für unfair hielt, und brach sie. Mein Motto in der Schule war: 'Ohne Aufwand viel erreichen'.«

So war es kein Wunder, daß Groening 1972 aufs Evergreen State College kam. Evergreen war zu seiner Zeit ein Experiment; hier gab es keine Noten, keine vorgeschriebenen Stundenpläne - überhaupt wehte in Evergreen ein sehr liberaler, alternativer Wind neuer Konzepte und AntiVietnam-Demonstrationen. Für Groening war dies das ideale Klima; zum ersten Mal in seinem Leben war er in einer Institution, in der er nicht mit Vorschriften zu kämpfen hatte. »Es ist nicht so, daß ich etwas gegen Disziplin hätte. Ich glaube an Disziplin, und Evergreen war ein sehr disziplinierter Ort. Aber ich glaube auch an Flexibilität. Einige Schüler reagieren positiv auf vorgeschriebene Regeln, andere nicht; und ich glaube, Kreativität darf nicht in der Art und Weise entmutigt werden, wie ich es bis dahin kennengelernt hatte. Ich hatte mein Leben lang das Gefühl, daß ich alles, was ich erreicht habe, trotz der Schule geschafft habe - und nicht wegen der Schule.«

In seiner Evergreen-Zeit landete Groening zufällig in der Redaktion der Campus-Zeitung. Es machte ihm Spaß, und so wurde er zum Herausgeber dieses Blattes. Er schrieb über lokale Sachen, rezensierte Comics und Filme, und ab und zu machte er auch ein paar Cartoons. Aber im großen und ganzen hatte er den Zeichenstift erst einmal beiseite gelegt: »Je älter ich wurde und Rock'n Roll und Mädchen entdeckte, desto uninteressanter wurden Comics. Mädchen waren nicht gerade beeindruckt von Comics, und sie waren auch nicht davon beeindruckt, daß ich welche zeichnete. Vielleicht tolerierten sie es, aber es war auf keinen Fall ein Weg, eine Freundin zu bekommen. Ich glaube, daß ist der Grund, warum Cartoonisten das überhaupt machen: Weil sie auf der High School keine Freundin abgekriegt haben.«

Doch dann traf Groening im Zuge seiner redaktionellen Arbeit auf ein paar Cartoonisten, die ihn zu seiner alten Berufung zurückführten: Steve Willis, Charles Burns, Jim Chupa und vor allem Linda Barry, mit der er später beruflich noch in Kontakt bleiben sollte. Underground-Comics hatten sich zu dieser Zeit in den USA langsam totgelaufen und standen normalerweise für Psychedelia und Anti-Bullen-Pro-Drogen-Slogans, aber Linda schien diese Norm gar nicht zu interessieren; sie kreierte ihre eigene Art von Underground, was Groening stark beeindruckte und ihm zeigte, daß es an der Cartoonistenfront wohl doch noch ein Plätzchen für ihn geben könnte:»Ich wollte immer ein großes Publikum erreichen. Es gibt eine ganze Menge Tabuthemen, die du aufgreifen kannst, die dir dann den Weg verbauen und dafür sorgen, daß deine Message einfach nicht weitreichend gehört wird. Ich dachte: Wenn sonst keiner diesen Kampf führen würde, würde ich es vielleicht machen. Da es aber viele Leute gibt, die ihn schon führen, und das auch noch sehr gut, sollte ich vielleicht über andere Dinge schreiben.«

1977, nach seinem Abschluß, zog Groening nach Los Angeles, voller Tatendrang, aber nicht mit der geringsten Idee, wohin ihn sein Weg führen würde. Des öfteren traf er sich mit Zeichnerkollege Gary Panter bei »Astro-Burgers« und spielte mit ihm - halb scherzhaft, halb verbissen - Ideen durch, wie man die lieblose und meistens einfach dumme Medienlandschaft mit intelligenten Ideen durchsetzen und umkrempeln könnte. Es war eine bittere Zeit für Groening. Um sich über Wasser zu halten, nahm er einen miesen Job nach dem nächsten an. Am schlimmsten traf es ihn, als er sich auf eine Anzeige in der »L.A. Times« als »Chauffeur/Autor« bewarb. »Meine Aufgabe war es, einen 88jährigen ehemaligen B-Movie-Regisseur tags durch die Stadt zu fahren und seine abgehalfterten, langweiligen Old-Hollywood-Geschichten zu hören, um ihm dann gegen Abend ein sündhaft teures Steak zu besorgen, das er dann aß, während ich seine wirre und stilistisch grausame Biografie redigieren durfte - die allerdings nie erschien«.

Während dieser Zeit begann Groening, Cartoons an seine Freunde nach Hause zu verschicken. »Life in Hell« nannte er diese Serie bezeichnend, und in ihr gaben glubschäugige Hasenfiguren zynische Bits und Pieces zum Alltagsgeschehen zum Besten. An eine Veröffentlichung dachte er zu dieser Zeit allerdings noch nicht.

Es wurde 1979, bis Groening endlich eine Stelle fand, die halbwegs nach seinem Geschmack war: James Vowell, der Herausgeber des alternativen »L.A. Reader«, stellte ihn als »Operations Director« ein. Groening saß im Büro, telefonierte durch die Gegend, organisierte Anzeigen und verteilte jeden Donnerstag 40.000 Zeitungen als Bündel in der Stadt. Nach einem Jahr ließ Vowell Groenings »Life in Hell«-Strips auf der letzten Seite der Zeitung abdrucken - Groening bekam dafür 25 Dollar die Woche. Doch plötzlich wurden die Leser auf diese Serie aufmerksam. Ronald Reagan hatte mittlerweile die Drähte der amerikanischen Gesellschaft in die Hand genommen, und aus Groenings Alltagssatiren sprach eine zwar nie politisch direkte, doch unverblümt bissige Sozialkritik, die den Nerv der Zeit traf. Die Geschichten um die weltgeschüttelten Hasen Binky, Sheba und den einohrigen Bongo sowie die beiden Homosexuellen Jeff und Akbar gewannen an Popularität und erschienen alsbald in über 20 Zeitungen.

Langsam, aber sicher verlor Groening die Kontrolle über seine Honorarzahlungen; 1981 lernte er seine zukünftige Frau Deborah Caplan kennen und gründete mit ihr die »Life in Hell Company«, die er dann später in »ACME Corporations« umtaufte und dazu diente, die Tantiemen seiner Strips zu verwalten. Im November 1984 sorgte Deborah dann dafür, daß eine Sammlung der Strips von »Life in Hell«, die sich mit dem Thema Liebe auseinandersetzten, als »Love is Hell« (im 12"-LP-Format) auf den Markt kam. Der Erfolg war genauso unerwartet wie überwältigend: binnen kürzester Zeit gingen 20.000 Exemplare von »Love is Hell« über die Ladentische, und kurz darauf sorgten »Work is Hell« und »Akbar & Jeff's Guide to Life« für noch höhere Verkaufszahlen - Groening war im Geschäft.


So kam es, daß er 1987 von der Fox Broadcasting einen Auftrag für einen 30-Sekunden-Trickfilm für die Tracey Ullman Show bekam. Aber statt einer animierten Fassung von »Life in Hell« hatte Groening ganz andere Pläne: »Ich erinnerte mich daran, wie ich als Fünfjähriger gespannt wie ein Flitzebogen auf die erste Folge einer neuen TV-Serie wartete: »Dennis the menace«, eine Realfilmadaption der gleichnamigen Cartoons von Hank Ketcham. Endlich eine Show über einen Jungen, mit dem ich mich identifizieren konnte! Ein Junge, der unartig war! Der Kekse klaute! Der den Erwachsenen Kontra gab! Als die Show begann, fielen mir die Augen aus dem Kopf. Der Vorspann war animiert - und wie! Dennis war nicht mehr das niedliche Bübchen aus den Comics, er war ein wirbelnder, zerstörerischer Tornado, der überall auf seinem Weg eine Spur der Verwüstung hinterließ - ich war im siebten Himmel. Doch dann begann die eigentliche Show mit den Schauspielern, und alles ging den Bach 'runter. Dennis war ein braver, gekämmter kleiner Junge, der höchstens deswegen aus der Rolle fiel, weil er etwas zu laut redete. Wieder einmal hatte das Fernsehen mich betrogen. Aber den kleinen Cartoon-Tornado hatte ich nie wieder vergessen, und jetzt hatte ich den Auftrag für meinen ersten eigenen Zeichentrick. Ich überlegte: Hmmm… ein Tornado-Junge… ungezogen, nervig… stachelige Haare… Steinschleuder in der Hand… ein richtiger, kleiner »brat« (= Halbstarker)… ich nenne ihn… vertauschen wir ein paar Buchstaben… Bart!«

Im Nu hatte Groening eine ganze Familie zusammen. Die ersten kurzen Simpsons-Zwischenfilmchen in der Tracey Ullman Show hatten allerdings noch recht wenig mit dem zu tun, was einmal aus dieser Idee werden sollte; die Gestaltung war zu jener Zeit noch wesentlich kruder und irgendwie fies. Noch waren die Simpsons eher eine Anti-Familie. Und die mehr als knappe Sendezeit für diesen Pausenfüller reichte natürlich nicht gerade für epische Plots - ein rülpsender Homer, der Bart beim Kekseklauen erwischt, war schon das höchste der Gefühle. Doch Groening war von Anfang an vom Potential seiner Figuren überzeugt: »Ich wußte, wenn wir unsere Vision erst einmal verbreiten könnten, würde es ein großer Erfolg werden. Ich hatte nur vor zwei Dingen Angst: Erstens, daß sie zu sehr von den zuständigen Bossen verwässert werden könnte, und zweitens, daß die Erwachsenen der Idee keine Chance geben würden. Die Kinder würden auf jeden Fall einschalten, denn die meisten Cartoons im amerikanischen Fernsehen sind liebloser Schrott, und sie würden den Unterschied bemerken.«

Groenings Befürchtungen waren jedoch völlig unbegründet: nach drei Seasons in der Tracey Ullman Show hatte er die Verantwortlichen von Fox soweit, daß sie grünes Licht für eine eigene Serie gaben.

Als dann die Simpsons im Januar 1990 auf Sendung gingen, wurden sie buchstäblich über Nacht zum nationalen Phänomen. Vom Kleinkind bis zum Greis und vom Schichtarbeiter bis zum Chirurgen verfiel Amerika in tosende Begeisterung für die »sehr intelligente Serie über dumme Menschen«, wie Groening sie selbst nannte.

In der Tat lag den Simpsons eine Rechnung zugrunde, die einfach aufgehen mußte: zunächst einmal waren der einfache Stil der Zeichnungen und ihre in Primärfarben gehaltene Colorierung ein derartiger Augenfänger, daß man schon nach wenigen Sekunden des Einschattens wußte, in welcher Show man war. Groening hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß er nicht »besser« zeichnen könnte, selbst wenn er wollte - aber gerade die Einfachheit des Simpsons-Designs machte den extrem hohen Wiedererkennungswert aus. Wer Bart einmal gesehen hatte, wußte auch Wochen später noch, wer das kleine gelbe Männchen ist, das da im Supermarkt von Zahnputzbechern, Federmappen und T-shirts heruntergrinste. Und was den Plot betraf, stach diese neue Serie ohnehin meilenweit aus dem Rest amerikanischer Animation heraus. Groening hatte von Anfang an das Ziel gehabt, den Zeichentrickfilm und seine Möglichkeiten nicht als Vehikel für optische Gags zu mißbrauchen, sondern ihn für echte Geschichten zu benutzen. »Die meisten der amerikanischen Zeichentrickfilmer heutzutage versuchen, Tex Avery zu imitieren. Aber man braucht gar nicht unbedingt zu Boden fliegende Kinnladen und aus dem Kopf springende Augen, um Überraschung darzustellen. Die am meisten benutzte Anmerkung, die ich an den Rand der Vorentwürfe meiner Trickzeichner schreibe, ist: 'Weniger cartoonesk!'«

So brachen die Simpsons mit all den üblichen zur Pose erstarrten Methoden gewöhnlicher Family-Sitcoms: kein Konservenlachen, kein »Dum-di-Doh-hier-kommtdie-Show«-Geträller im Vorspann (statt dessen eine himmlisch hektische Orchestermusik von Hollywood-Soundtrackwunder Danny Elfmau) - und vor allem: Menschlichkeit! Amerika, wie es wirklich ist! Die Familie schmatzt und rülpst am Eßtisch. Der Vater ist kein aufstrebender Upper-middleclass-Angestellter. Sein Sohn ist nicht der vor humanistischen Idealen strotzende Held seiner Klasse, sondern ein lernschwacher, graffittisprühender Tunichtgut. Die Verkäufer im Supermarkt versuchen zu bescheißen. Das Atomkraftwerk Springfields verseucht den Fluß. Und die Garde des amerikanischen Medienzirkus' erscheint als eine einzige, schmierige Heuchlertruppe. »Die meisten amerikanischen TV-Arbeiterfamilien leben in wesentlich größeren und hübscheren Häusern als jede Arbeiterfamilie, die ich je gesehen habe. Wir haben uns immer gesagt: 'Laß es schäbiger aussehen! Zeichne Risse in die Wand, Müll auf die Straße!'«

Außerdem war jede Folge der Simpsons gespickt mit kleinen Anspielungen am Rande, Insider-Jokes, die meist erst nach dem dritten oder vierten Betrachten auffallen. Groening nennt das »Den Lohn der Aufmerksamkeit«: »Ich betrachte das Konzept der Simpsons als eine Art Zeitbombe. Wenn die Kinder von heute die Serie später als Erwachsene wiedersehen, werden sie eine neue Dimension von Witz darin entdecken, eine Menge versteckter Gags, die ihnen damals gar nicht aufgefallen sind. Um ehrlich zu sein, bauen meine Zeichner oft auch ihre ganz eigenen Insiderwitze ein, die so subtil sind, daß selbst ich sie beim ersten Hinsehen nicht bemerke.«

Doppelbödiger, linksliberal angehauchter Humor, Charaktere fern von jeglicher Hollywood-Plastikhaftigkeit und trotzdem ein Riesenerfolg - die Simpsons waren ein optimistisch stimmender Beweis dafür, daß US-Amerika wohl doch noch nicht ganz den letzten Rest von Geschmack und Menschenverstand verloren hatte.

Innerhalb kürzester Zeit konnte kein Amerikaner mehr sein Haus verlassen, ohne nicht mindestens einem Mitglied dieser Familie irgendwo über den Weg zu laufen. Die Simpsons machten ihren Weg auf die Cover von »Newsweek« und »People«, erschienen in New Yorker Straßenparaden und natürlich auch als Spielzeugfiguren, Bettwäsche, Schallplatte, Kaffeetasse usw. Am gewaltigen Merchandising für seine Figuren trug Groening zwar keine Schuld -die Rechte an den Simpsons gehörten der Fox, nicht ihm - aber er hatte im Prinzip auch moralisch nichts dagegen. »Ich kann eine Flutwelle nicht aufhalten, aber ich kann sehr wohl auf ihr surfen. Wir haben immer versucht, die allgemeine plumpe Art von Merchandising zu umgehen, die einfach nur daraus besteht, auf irgendein Produkt seine Figur zu kleben. Die meisten der Simpsons-Produkte sind mit den Figuren verbundene Design Gags. Wir haben die Verantwortlichen mit unseren Ideen teilweise halb wahnsinnig gemacht, und für das Bart-T-Shirt »I'm an underachiever and I'm proud of it« haben wir einen Riesenärger gekriegt, bis es dann auch vom Markt genommen wurde. Ich meine, als Cartoonist ist man in seinen Arbeitsmethoden schrecklich limitiert - Papier und Tinte ist alles, was man im Grunde hat. Aber Cartoons können ein großartiges Sprungbrett in andere Medien sein, Videospiele zum Beispiel. Gart' Panter hatte damals immer davon geträumt, seine eigene Spielzeugfigurenserie zu kreieren, und so habe ich ihn die Simpsons-Biegepuppen entwerfen lassen. Diese Spielzeuge und Videogames und Flipper und all das sind wirklich witziges, faszinierendes Zeug, und ich bin froh, daß ich nicht widerstehen konnte, sie mitzugestalten.«

Ein ganz bestimmter Punkt im Merchandising-Rummel um die Simpsons allerdings war ziemlich ungewöhnlich und so noch nie dagewesen, gerade nicht in Amerika - es gab so gut wie jedes denkbare Produkt in der Simpsons-Variante, nur: Es gab kein Comicheft.

Das einzige die Serie begleitende Printmedium war das vierteljährlich erscheinende Magazin »Simpsons Illustrated«, in dem Neves und Facts und Screenshots aus den neuesten und kommenden Folgen enthalten waren. Als dann auch ein kleiner Comic abgedruckt wurde, war die Resonanz darauf so enthusiastisch, daß der nächste Schritt geradezu zwangsläufig über die Bühne gehen mußte: 1993 erschien ein erstes Testheft, »Simpsons Comics & Stories«, mit drei Kurzgeschichten aus dem Springfield-Universum. Und als der Erfolg auch dieses Probelaufs den hochgesteckten Erwartungen beiderseits vollauf entsprach, gründete Groening noch im selben Jahr mit seinem Freund Bill Morrison und dem Künstlerehepaar Steve und Cindy Vance seinen eigenen Verlag, die »Bongo Comics Group«, in der im November dann die erste Ausgabe der »Simpsons Comics« mit der Story »The amazing colossal Homer« erschien - und natürlich mit kolossalem Erfolg.

Im Vorfeld hatten sich viele Fans der Serie Sorgen gemacht, ob Groenings Team das hohe Niveau der Fernsehfassung auch in den Comics durchziehen könnte, aber diese Zweifel lösten sich im Handumdrehen in Rauch auf. Bongo war es nicht nur gelungen, den Spirit des Originals 1 : 1 in bunte Panels zu transformieren; die SimpsonsComics hatten eine völlig neue Dimension von Humor aufzuweisen, die ganz speziell auf ihr neues Medium zugeschnitten war. Wo in der Fernsehserie Anspielungen auf berühmte Filme und TV-Shows aufzufinden waren, fand man nun in den Comics jede Menge Huldigungen an die Klassiker der Comicgeschichte ergänzt um bissige Seitenhiebe gegen skrupellose Geschäftemacher in der Szene.

Parallel zur ersten Ausgabe der Simpsons erschien auch die »Reprint«-Ausgabe von Bart Simpsons liebstem Superhelden, »Radioactive Man«, eine Miniserie, die gespickt mit den großartigsten Insiderwitzchen in sechs Ausgaben je eine Ära der amerikanischen Superheldencomics - von den Fünfzigern bis heute - imitierte und parodierte. Alsbald folgten »Bartmau«, »Itchy & Scratchy«, »Krusty the Clown« und andere. Das Unternehmen war mehr als geglückt; von null auf hundert hatten Groening und seine Mannen das »Bongo-Universum« entworfen. Ein Universum, das in besonderer Weise die Phantasie seiner Leser anzukurbeln schien; waschkörbeweise drängten sich neben Lobeshymnen rührend liebevolle Leserzeichnungen in das Postfach des neuen Verlags, auf den Leserbriefseiten der »Radioactive Man«-Serie z.B. fanden heiße Debatten über »alte« Hefte der Serie statt, die man sich gerade selbst ausgedacht hatte. Durch die Simpsons wurden Leute aus allen Schichten und Altersgruppen selbst zum Teil einer großen, herzlichen und ein klein wenig verrückten Familie.

Trotz seines schwindelerregenden Erfolgs hat Matt Groening nicht im geringsten den Kopf verloren. Als zum Beispiel in Amerika nach Nixons Tod eine rührselige post hume Reinwaschaktion für den skandalösen Ex-Präsidenten ins Laufen kam, wandte er sich lautstark dagegen; obgleich er sich selber politisch »auf der Mitte der Straße« sieht, schimmern auch in den Simpsons-Comics und in seinen Editorials untrüglich linksliberale Tendenzen mit, verquickt mit einer Menge Charme und Lebensweisheit-von allen mega-erfolgreichen Zeichnern der amerikanischen Comicszene ist Groening ein leuchtendes Beispiel dafür, daß man anscheinend auch Erfolg haben kann, ohne deshalb zum korrupten Zyniker werden zu müssen.

Wohl weil er mit den »Simpsons« ein echtes Interesse verfolgt: populäre Unterhaltung, die sich und ihr Publikum ernstnimmt. Deshalb der beharrliche ironische Blick auf amerikanisches Real life, anstatt sich mit Elseworlds und sonstigem Fake in die Tasche zu lügen. Und deshalb auch die ständigen Anspielungen und Seitenhiebe auf den Kommerz-Hype im Comic-Business: Das ist gleichfalls Bestandteil US-amerikanischer (Konsum-)Wirklichkeit. Groening holt die Sprechblasen auf den Boden der Tatsachen zurück, ohne die Kreativität zu verraten. Die Simpsons: Comic is coming home.
- Thomas Strauß